Ich war noch niemals in New York: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 25. August 2021, 12:15 Uhr

Paul schaltete den Fernseher aus, seine Zigaretten waren fast alle, und er wollte noch einmal zur Esso Tankstelle, vier Ecken weiter. Dann noch einen Spaziergang und dann ab ins Bett, morgen musste er wieder zu Reichelt hinter die Wursttheke. Es war ja nicht so, dass es diesen Job liebte, es hasste ihn, aber das Geld war ein nicht zu ignorierendes Argument.

Er zog sich seine Lieblingsjacke an und gab Heike einen mechanischen Kuss. Liebe, dachte er bitter, mit Liebe hatte das ganze Laientheater nichts mehr zu tun. Was sie hier spielten war eher ein zynischer, ein bitterer Scherz, der mit Liebe so viel zu tun hat, wie Erbsensuppe mit Karohemden. Heike hatte ihn noch nicht einmal angesehen, als er ihr diesen Reflexkuss gab.

Ihr Arztroman war wohl auch viel aufregender als ihr gelähmter Alltag. Tja, ihre Träume waren nie in Erfüllung gegangen, er hatte sein Jurastudium geopfert, als er in die Taxibude ihres Vaters eingestiegen war, und nun roch er jeden Abend nach Wiener Würstchen und hasste sich für sein beschissenes Verkäufergrinsen, wenn er jeden, selbst den letzten Wichser fragte,

„haben sie sonst noch einen Wunsch?“

Er hasste seinen Chef, einen 24 jährigen Betriebswirt, der ihn nicht weniger verachtete. Der Klugscheißer gab einen guten Diktator ab, wenn er zwischen dem Konservenmüll und den leeren Kartons rumbrüllte und Angst bei den Kassenmädchen verbreitete.

Leben findet woanders statt, dachte er sich, als er seinen 38 jährigen Körper durch das Treppenhaus nach unten bewegte. Überall waren die Menschen glücklich, an jedem Ort, an dem er sich nicht befand. Jeden Freitag, in der Mittagspause, ging er zu der Esso Tankstelle und gab seinen Lottoschein ab, meistens wurde er enttäuscht. Nur einmal hatte er 11,90 Euro gewonnen.

Das Leben hat mich verarscht und betrogen, ging es ihm durch den Kopf, Glück hatten immer die Anderen.

Als er auf die Straße trat bellte Rex, der gemeine Schäferhund von Burgschneiders, Herr Burgschneider war der Hauswart und lies um diese Zeit immer seinen Hund auf die Wiese vor dem Haus scheißen. Dies war sein Erziehungsauftrag. Wenn Kinder spielen wollen, dann müssen sie woanders hingehen, so einfach war das für ihn. Paul hatte das Gefühl, dass es seit dem zweiten Weltkrieg viele kleine Diktatoren gab, zu viele. Es gab Situationen, in denen wünschte er sich einen Elektroschocker, den er jedem dieser kleinen, aggressiven Mistkäfern an den Hals hielt, um sie etwas zucken zu lassen. Immer, wenn ihm solche Gewaltfantasien durch den Kopf gingen, war das Gewissen nicht weit, welches ihn, etwas später erreichte und ihm ein böses Geschwür aus Selbsthass und Magenbeschwerden bereitete.

Herr Burgschneider zerrte an der Hundeleine und grinste sein selbstgefälliges Hausmeisterlächeln. Paul steckte sich seine letzte Zigarette zwischen die Zähne.

„Aber die Kippe nicht auf den Boden werfen, klar?“

Paul steckte sich die Kippe an, als ihn Herr Burgschneider auf die Schulter tippte.

„Ob sie verstanden haben,“ in diesem Moment boxte ihm Paul in den Magen und griff sich seinen Kragen.

Sein Gesicht war verzerrt, als er den Kerl durchschüttelte und ihm leise, bedrohlich anzischte.

„Fass mich nie wieder an, stinkende Schweinebacke.“

Verstört befreite sich der Hauswart, sein Hund begann zu knurren, dann entfernte sich das Männchen. Aus einiger Entfernung rief er,

„sie sind ja verrückt geworden, total von der Rolle, aber keine Angst, davon informiere ich die Hausverwaltung, sie gehören ja in die Irrenanstalt, sie Saukerl.“

Dann drehte er sich um und rannte mit seinem Hund davon. Zum ersten mal seit Monaten war Paul stolz auf sich. Nur um dieses blöde Gesicht kurz voller Angst zu sehen, dafür hatte sich diese Aktion gelohnt, mit all dem Ärger, den dieser Ausbruch mit sich bringen konnte. Mit einem guten Gefühl ging er die Straße herunter, ihm war danach ein Lied zu singen,

was er dann auch tat. Er fühlte sich plötzlich gut, jung und, etwas gefährlich. Er spürte sein Leben zurückkehren, er war voller Ideen. Übermütig rotzte er einen schleimigen Klumpen auf die Frontscheibe von Herrn Burgschneiders Golf.

Dieser alte Frührentner mit seinem stinkenden, lauten Hund hatte ziemlich blöde ausgesehen, er freute sich wie ein kleiner Junge darüber. Wie der kleine Junge, den er längst begraben glaubte. Fröhlich, und etwas stolz auf sich, lief er durch diesen schönen Abend. Er fühlte sich kein bisschen schlecht, weil er die alte Meckermumie geboxt hatte, im Gegenteil. Das Leben ist schön, kam es ihm in den Sinn, auch er konnte glücklich sein, nicht immer nur die Anderen. Wenn jetzt Winter wäre, würde er einen Schneemann bauen, aber jetzt war Sommer. Warum nicht irgendwo ein Bier trinken, oder auch zwei. Er war erwachsen, er konnte tun und lassen, was er wollte. Ja, er war erwachsen und frei.

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