Dunkle Stimme des Herrn

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Es war einer dieser langweiligen Tage in Köln. Die Stadt erschien mir noch hässlicher als sonst und Astrid musste bis 23.00 Uhr im Institut bleiben, weil sie dort ein Experiment durchzuführen hatten.

Der Kaffee schmeckte brauchbar, besser aber auf gar keinen Fall. Regen zog auf und meine Psyche sackte um drei weitere Grad nach unten. Dies war der richtige Zeitpunk mal wieder eine Kirche zu betreten, und da ich schon mal in Köln war, machte ich mich auf den Weg zum Dom.

Je näher ich dem Bahnhof kam, desto mehr Kaputte und Touristen kreuzten meinen Weg, nicht gerade die Gesellschaft, welche jetzt meine Stimmung aufhellen konnte.

Wir hatten den 28.9.1995, obwohl es noch Sommer war, spielte ein zynischer Wettergott schon mal Spätherbst, mit allem was dazu gehört. Von weitem sah ich den Dom.

Dieses Bauwerk ist mit nichts zu vergleichen. Monströs und herrlich zugleich. Er schien, bei schlechtem Wetter, aus den schlimmsten Alpträumen von Walt Disney gezimmert zu sein. Wenn aber die Sonne schien, wirkte der Dom wie der verzweifelte Versuch der Menschen, ihrem Gott eine ordentliche Kirche zu bauen. Bei welchem Wetter auch immer, ich bin den Alliierten immer noch dankbar, dass sie diesen Bau im zweiten Weltkrieg vorsätzlich verschont haben.

Als ich am Bauzaun vor dem Hauptbahnhof vorbei kam, fiel mein Blick auf ein Plakat von Johnny Cash, der sich seit seinem Wechsel zu einer anderen Plattenfirma nur noch Cash nannte. Das Poster klärte darüber auf, dass Cash heute abend ein Konzert in Köln geben würde. Schön, dachte ich mir, und wunderte mich darüber, dass ich davon nichts gehört hatte.

Die Kälte kroch mir in die Knochen und ich sah zu, dass ich rasch weiter kam.

Eine Seitentür des Doms war offen, der Bau verschluckte mich und der eben noch herrschende Alltag wich der Ruhe einer anderen Welt. Alles hier atmete Glauben und Religion. Die Kerzen, kostbare Bilder und der ausladende Altarraum. Dieser Dom ist so riesig, dass er bequem ein ganzes Dorf beherbergen könnte, wenn er den Lust darauf hätte. In den Tiefen des Raumes entdeckte ich sehr wenige Besucher. In einen Opferstock warf ich 50 Cent und nahm mir eines der Teelichter, um es für mein Seelenheil zu entzünden. Dann suchte ich mir einen etwas abgelegenen Platz, um etwas Ruhe und Meditation zu finden. Es war nicht direkt ein Gebet, eher ein Monolog, den ich dort, mit wem auch immer, führte. Ein paar Minuten verstrichen und ich sah einen alten Opa auf den Altar zuschlurfen. Arme Sau, dachte ich mir, hat seine besten Jahre hinter sich und hat noch mal Freigang im Altersheim gekriegt, um hier ein paar Sachen mit seinem Schöpfer klarzustellen. Wie der die Schultern hängen lies, muss der Kerl ganz schön was ausgefressen haben, na ja, wie der aussah hatte er auch schon gute neunzig Lenze auf dem Buckel.

Ich bekam noch mit, wie seine Alte hinter ihm herwatschelte, Gepäck hatten sie auch noch dabei. Wäre er nicht so gut angezogen gewesen, hätte ich ihn für einen alten Penner gehalten, der sich hier den Arsch aufwärmt und mal kurz die Hacken hochlegt, bis er vom Geistlichen vor die Tür gesetzt wird.

Ich beschloss, mir das Elend nicht länger anzusehen, und tat so, als würde ich beten. Mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen legte ich eine Oskarreife Vorstellung hin, aber, Gott lässt sich nicht verarschen.

Wäre das alte Testament noch gültig, würde mir der zornige Herr mit einem ordentlichen Blitz den Arsch wegbrennen, dachte ich, und begann dann doch richtig zu beten. So vergingen einige Momente, als ich die Augen wieder öffnete, stand der Alte Kerl vor mir. Ich war so erschrocken, dass ich zusammenzuckte, als wäre Satan selbst hier, um mich irgendwo hin zu ziehen. Der alte Kauz lächelte.

„Hallo, I am Johnny Cash.“ Gut, dachte ich mir, ein alter Scherzkeks, und murmelte, „And I am Harald Juhnke.“

Wir redeten auf Englisch weiter, was ich ihnen aber übersetze.

„Ich dachte du wärst älter,“ konterte er, und als ich ihn mir näher anschaute viel es mir wie Ziegeln aus den Augen, er war es wirklich. Klar, komplett schwarz angezogen, „The man in black“, außerdem war ja heute abend das Konzert. Und die Frau war seine Frau, ganz klar.

Das letzte Mal, als ich ihn bewusst gesehen hatte, war ca. 1984 bei „Wetten Das“, als noch Frank Elstner der Moderator war.

Damals war Johnny Cash schon hackedicht auf die Bühne gewankt und hat es dann geschafft ein halbes Lied zu singen, bevor ihn der Wachdienst aus dem Bild gezerrt hatte. Frank Elstner versuchte, mit einem schlechten Witz die Situation zu retten.

Damals fand ich diesen Auftritt total cool. Der bekommt ein paar Tausend Mark, säuft sich im Flieger einen an, plündert dann im Hotel die Minibar und macht auf dem Weg zur Show noch einen Zug durch die Gemeinde. Dann, dreißig Sekunden Slapstick, und tschüß. So müssen sich Musiklegenden verhalten, dachte ich mir. Legenden dürfen immer alles tun, was wir normalen Bürger nicht dürfen: Fremdgehen, saufen und Drogen fressen, Schlägereien anzetteln, Hotelzimmer zerlegen.. Und jetzt stand er hier, hinter ihm diese alte Hippioma, seine Frau.

Einige Minuten plauderte er, um mir zu beweisen, dass auch Johnny Cash ein netter Mensch ist, ich versuchte auch locker zu bleiben. Er erzählte von seiner Tournee, und den leckeren deutschen Brötchen, ich nickte und grinste.

„Mein Freund Gunther Gabriel singt heute abend mit mir einen Song, kennst du Gunther?“

„Klar,“ meinte ich und begann Hey Boss ich brauch mehr Geld, zu singen. Rasch hatte June, so hatte er seine Frau vorgestellt, die Gitarre ausgepackt und der alte Meister begann meinen miesen Gesang genau so schlecht zu begleiten. Ob wir nicht gemeinsam ein Kirchenlied singen wollen, fragte er mich, wogegen ich nichts Gegenteiliges einwenden konnte, schließlich waren wir hier in einer Kirche.

Nach einigem hin und her einigten wir uns auf Stille Nacht, welches er mal in englisch, auf einer Weihnachtsplatte aufgenommen hatte. Momente später füllten unsere Stimmen den Raum und ich fühlte mich ganz komisch. Erst jetzt wurde mir diese Szene richtig bewusst. Ich sang hier mit dem bedeutendsten Sänger aller Zeiten. Einem Fossil, dessen erste Platten noch als Schellack Platten erschienen waren. Dieser Legende, welche eher wie Darth Vader wirkte, nicht wie ein Countrymusiker. Mit seinem schwarzen Anzug und dem, wie in Granit gemeißelten, Gesicht wirkte er fast wie einer, der hier die bevorstehende Apokalypse verkünden wollte. Als nächstes sangen wir „blowing in the wind“. Ich fragte ihn, ob er mir ein kleines Konzert spielen würde, dafür versprach ich ein leckeres Mittagessen, worauf wir uns einigten. Er begann seinen Auftritt mit dem „Folsom Prison Blues“, gefolgt von „Ring of Fire“. Nun kam, dem Rahmen entsprechend, „Amazing“ Grace und ein paar Songs von seinem neuen Album.

Inzwischen waren auch noch ein paar Messdiener und der Hausmeister hinzugekommen, so das der Applaus nicht zu spärlich ausfiel.

Als Zugabe legte er noch „I walk the line“ nach. Bis dahin hatte ich Johnny Cash immer als Westernfritzen gesehen, ich kannte seine Lieder von Urlaubsreisen mit meinen Eltern, wenn er aus dem Kassettendeck dröhnte, wenn es sein musste, bis nach München. Von seinen neuen Platten hatte ich viel Gutes gelesen, gehört hatte ich aber, bis jetzt, nichts. Auch wenn ich kein Hellseher bin, mir war klar, dass ich mir das neue Album noch am selben Tag kaufen würde. Nach seinem Auftritt musste er erst mal Autogramme verteilen, dies tat er ohne große Aufregung. June packte die Gitarre wieder ein und lächelte mich an, als hätte ich mit ihr eine versaute, Affäre, von der Johnny nichts wissen dürfe. Sie können sich vorstellen wie ich mich unter ihrem Blick fühlte. Cash meinte, dass er gerne etwas Deutsches essen wollte. Da ich das Essen zahlen musste, hoffte ich, dass er mit einer Portion zufrieden sein würde. Zufällig kannte ich ein gutes, billiges Restaurant in der Innenstadt. Die Cashs bestellten sich Cola light und Leberkäse, was ich ihnen empfohlen hatte. Gegen zwei Uhr mussten sie los, zum Soundcheck. Wir verabschiedeten uns überschwänglich, zum Schluss drückte mir Cash noch einen Flyer für seine Show in die Hand.

„Bring deine Freundin mit, und nach der Show seid ihr unsere Gäste, etwas essen, ein paar Drinks, wird bestimmt lustig,“ meinte er und zwinkerte mir zu. Ich versprach zu kommen, aber, ob Astrid Lust darauf haben würde, nun ja, dass ist eine andere Geschichte.

Ende


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