Forensik – der softe Knast: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 25. August 2021, 12:15 Uhr
Rund 2500 sogenannte Straftäter sind in Deutschland in »forensischen Einrichtungen« untergebracht: Das sind geschlossene Abteilungen allgemeiner Psychiatrien, aber auch spezielle Kliniken. Der offizielle Ausdruck ist »Maßregelvollzugseinrichtungen«, davon gibt es 58 Stück im ganzen Land. Ich zitiere aus dem Gesetz: »Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, daß er infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.« In einem SPIEGEL-Artikel wurde vor einigen Monaten auf das Thema hingewiesen, die geschilderten Fälle waren durch die Bank recht derb. Grund genug, dieses Thema mal von »unserer« Seite aus ein bißchen zu beleuchten, sicher nur ansatzweise. Eine gute alte Bekannte (in der Folge aus Gründen der Anonymität als »A.« abgekürzt), sie arbeitet als Krankenschwester, ist in einer solchen Forensik-Einrichtung gelandet. Die Fragen stellte Klaus N. Frick.
ZAP: Was ist das für eine Einrichtung, in der Du arbeitest; wie viele Leute sind da drin?
A.: Ich arbeite in einer großen Stadt, in einer Nervenheilanstalt. In der Forensischen Abteilung sind etwa 200 Straftäter untergebracht; unsere Station beherbergt zur Zeit 28 Männer. Bis zum Februar 1994 befand sich auch auf unserer Station auch noch der »gesicherte Bereich«, der inzwischen auf eine neue Station verlegt wurde. Dort sind die Patienten, die nach einer Entweichung, einem Rückfall oder einem Ausbruch besonders gesichert werden müssen. Auch Patienten, die ausrasten und fixiert sind, werden dort beobachtet und betreut. Dort gibt es Isolationsräume mit Stahltüren, in denen alles aus Beton ist, damit nichts zerstört werden kann ... Auf unserer Station haben wir auch einen Isoraum für Notfälle, mit einem Fixierbett. Da müssen die Gurte immer griffbereit angebracht sein ... Unsere Station hat Ein- bis Drei-Bett-Zimmer, ein Einzelzimmer ist aber ein Privileg!
ZAP: Was für Leute habt Ihr im speziellen? Kann man das irgendwie »eingrenzen»?
A.: In dem SPIEGEL-Artikel ging es vor allem um die 63er, die heißen so nach dem Paragraphen 63 des Strafgesetzbuches. Das sind die psychisch Kranken, davon haben wir nur vier oder fünf auf der Station. Wir haben hauptsächlich 64er, und die sind wegen Sucht verknackt. In unserem Fall sind das in erster Linie Alkoholiker, während die Junkies extra sind, da liegen auch Welten dazwischen. ZAP: Wie muß ich mir so eine »Einlieferung« jetzt konkret vorstellen?
A.: Wird durch einen Gutachter festgestellt, daß ein Patient drogenabhängig »oder« alkoholkrank ist und man seine Straftat darauf zurückführen kann, wird der Patient bis zu zwei Jahren in einer Therapiereinrichtung untergebracht. Teilweise wird diese Zeit auf die gesamte Strafe angerechnet. Viele Patienten sind vorher lange im Knast, vor allem U-Haft, und die meisten werden bei Halbstrafe oder Zweidrittelstrafe mit harten Bewährungsauflagen entlassen. – Werden sie bei uns nicht während der Therapie als »aussichtslos« beurteilt, gehen kaum welche von uns aus in den Knast zurück, die meisten werden nach draußen entlassen.
ZAP: Was sagt die Öffentlichkeit dazu? Bekommt Ihr viel Kritik?
A.: Wir sind ein Politikum und eine Alibi-Einrichtung für den Staat, von wegen »Therapie«. Die Sicherheit steht im Vordergrund, zu wenig Personal ist vorhanden, und wirklich helfen will den Jungs ja eh keiner. – Die Öffentlichkeit wurde immer dann aufmerksam, wenn es zu mehreren oder gar Massenausbrüchen kam; dann fiel auf einmal auf, daß so böse Straftäter frei rumlaufen und die Menschen in Gefahr bringen. Die letzte große Geschichte hatte zur Folge, daß wir neu vergittert wurden. Jetzt finden keine Ausbrüche mehr statt; die Jungs warten, bis sie Ausgang kriegen, und entweichen dann. So erregen wir kaum noch öffentliches Aufsehen.
ZAP: Irgendwelche Demos, Aktionen oder Unterschriftensammlungen gab’s aber bisher nicht von seiten der Anwohner oder so?
A.: Aktionen? Neue Gitter für’n paar Millionen, aber was soll sonst laufen. Besser als bei uns kann es einem Straftäter nicht gehen. Vielen geht es gut bei uns, die hatten draußen kein Dach überm Kopf, nix zu Fressen, keine Kohle, oder lagen nur voll unter Brücken. Bei uns gibt’s ein Zimmer, Bett, Fernseher, viel zu Essen, Taschengeld, billige Drogen, und an Alk kommen sie auch, wenn sie wollen. Viele wollen gar nicht mehr weg!
ZAP: Wie bist eigentlich Du da reingekommen? Geht das so »einfach»?
A.: Ich habe meine Ausbildung als Krankenschwester vor zwei Jahren beendet und wollte gerne entweder mit Aidskranken oder Süchtigen arbeiten. Da es in dieser Klinik auch offene Alkoholiker-Stationen gibt, hatte ich mich dort für die Sucht-Abteilung »beworben«. Die Abteilungsschwester empfing mich mit offenen Armen und überredete mich, in die Forensik zu gehen. Ich könnte ja jederzeit wieder versetzt werden, wenn es mir zuviel würde! Blabla, sie erzählte mir, was sie dort alles vorhätten, Wohngruppen, offene Stationen, Gitter kommen weg ... jaja ... und ein paar Monate später bekommen wir die bereits erwähnten neuen Gitter.
ZAP: Das sind ja nette Methoden ...
A.: Ja, ich hab’ ihr mal ins Gesicht gesagt, daß es Körperverletzung war, mich mit 25 Jahren (fast die Jüngste) und gerade mal einem halben Jahr Berufserfahrung als Krankenschwester ohne psychiatrische Zusatzausbildung auf diese Station zu setzen ... es tat ihr leid, harhar, da war’s aber schon zu spät!
ZAP: Und was heißt das für dich jetzt konkret?
A.: Ich bin im Prinzip Justizvollzugsbeamtin, zu deutsch »Schließerin»!
ZAP: Äh, bitte?
A.: Obwohl ich als Krankenschwester angestellt bin, eigentlich bin ich dazu da, die »therapeutische Arbeit zu unterstützen«, Gruppensitzungen, Aktivitäten, Ausführungen, beispielsweise kulturelle Dinge, Kino, Ausstellungen und so weiter zu leiten. Also Patienten raus ins cleane Leben begleiten, einkaufen, zum Sozialamt gehen und so ... mit ihnen reden, spielen, ihre Freizeit gestalten, helfen ... auch Stationsarbeit, medizinische Sachen, allerlei Papierkram, ein Haufen Zeugs also.
ZAP: Wie kommst Du mit Deinem »Schließer-Job« zurecht?
A.: Hier lernst du wirklich, wie ungerecht die Welt doch ist. Es ist unglaublich!
ZAP: Gib mir mal ein Beispiel!
A.: Da ist dieses Nazischwein, dieses prügelnde: Einen Türken hat er totgeschlagen, aber er war besoffen. Gutachter und guter Rechtsanwalt, und ab zu uns. Tja, und bald gibt’s Ausgang und ‘nen Job und irgendwann ‘ne Wohnung, macht alles die Sozialarbeiterin der Station, ab und zu ‘nen Rückfall, und schuld sind die ... mein Gehirn ist versoffen, ich verarsche Euch alle ... das ist so die Denke von so Leuten.
ZAP: Habt Ihr viele Prügel-Idioten?
A.: ‘ne Menge, aber nicht nur. Nimm mal den Typ, der zum viertenmal verknackt wurde wegen Kindesmißhandlung, hat diesmal ein siebenjähriges Mädchen vergewaltigt, stundenlang am See mit allem drum und dran. Kriegt zwei Jahre und sechs Monate, läuft auch als 64er (!!!) wegen Alkohol, das heißt, dann eben vorsätzlicher Vollrausch. – Der sitzt dann hier drin, beschimpft mich ständig und kriegt bald Ausgang, und Pädophilie ist doch ganz klar durch den Alkohol, oder? Mieses Schwein, der sollte ‘nen Paragraphen auf psychisch krank kriegen und auch so therapiert werden und nicht auf Alkohol. Das denk’ ich eben in diesem Zusammenhang! – Alk entschuldigt alles, einer hat seine 13jährige Tochter vergewaltigt und schwer mißhandelt. Wir haben derzeit vier Vergewaltiger. Es macht Dich fertig! ZAP: Du hast vorhin das Alkohol-»Problem« angesprochen ...
A.: Ja klar, all die lieben armen Skins! Keiner von denen will aufhören zu saufen. Sieht ja auch keinen Anlaß dazu. – Du, 90 Prozent hier gehören in den Knast, weg von der Gesellschaft, die wird so nicht geschützt!
ZAP: Findest Du so eine Aussage nicht ein bißchen arg krass? Knäste sind doch völliger Mist!
A.: Vielleicht ist meine Aussage hart ... Ich weiß, Knäste ändern nix, aber wie viele Menschen kennst du, die so richtig gewissenlose Schweine sind ... Der eine wird – wenn er rauskommt – wieder ein kleines Mädchen vergewaltigen. Vielleicht ist’s dann deine Tochter? – Wer soll ihn denn heilen? Ist überhaupt schon jemals einer aus der Forensik entlassen worden – als geheilt, meine ich? Höchstens einer von tausend!
ZAP: Siehst Du denn gar keine Perspektive?
A.: Die haben ja oft gar nicht den IQ, um zu begreifen, was Sache ist, die kommen nie raus aus dem Kreis, oder? Ich denke, die sollten alle mal in der Grundschule anfangen, und ... na ja, ich hab’ auch kein Konzept, aber die haben einfach nicht diese Lebensanschauung, die mit unserer zu vergleichen wäre. In dieser Gesellschaft wäre es ja auch ein Wunder, den Jungs zu erklären, warum Gewalt schlecht ist. Oder daß es sich lohnt, nicht so viel zu saufen, oder daß die Traumfrau, die alles so gut macht, und die tollen Jobs für Leute ohne Schule einfach nicht existieren ...
ZAP: Nochmal zurück zu Dir. Wie kommst Du mit dem Scheiß-Job klar?
A.: Ich werde beschimpft, tagein, tagaus, aufs übelste, ich bin für die an allem Schuld. Auch ich mit meiner sprühenden Lebensfreude, mit meinem Idealismus, kriege da immer mehr Haß. Ich reiß’ mir den Arsch auf für die Typen, und ich ernte nur Undank, werde ausgelacht. ZAP: Wie sind denn – im Vergleich – Deine Kollegen und Kolleginnen so drauf? Was sind das überhaupt für Leute?
A.: Die Forensik nimmt alle. Hauptsache Krankenpfleger oder -schwester. Mich frustriert das total, ich will den Jungs ein bißchen »was« mitzugeben, aber für die meisten meiner Kollegen sind sie nur Abschaum und Dreck, und so werden sie behandelt. Sie wurden immer geschlagen, und bei uns geht’s weiter.
ZAP: Diese Mühle muß Dich auf Dauer völlig fertigmachen?
A.: Früher hab’ ich gesagt, »Sprengt die Knäste«, um mal meine Lieblings-Band zu zitieren, heute, tja: Sicher, Knast ändert die Menschen nicht, wir sind ein »softer Knast«, einsperren bringt nichts, es ist eben eine Zwangs-Therapie ... Die ganze Therapie bringt aber nur freiwillig etwas, wenn der Mensch für sich selbst clean oder trocken sein will; gezwungen kann er nicht werden ... Heute weiß ich, daß es ohne Knäste nicht geht, das ist aber wiederum ein Gesellschaftsproblem und damit ein unendlich breites Thema ... Unsere Jungs sind teilweise im Knast großgeworden, viele waren in Kinderheimen, keine Eltern oder saufende Eltern, Jugendknast, Knast, Knast, der Teufelskreis eben ...
ZAP: So als letztes Stichwort: Sexualität. Wie gehen die, wie geht Ihr damit um?
A.: Die pflastern sich die Wände voll mit Pornobildern. So richtig tolle, harte Männer, die wünschen sich alle das Heimchen am Herd, das brav die Beine breitmacht. – Die sehen mich im Endeffekt nur als Sex-Objekt ... als Frau ist es schwer, da zu arbeiten, sich Respekt zu verschaffen. Ich habe lange dazu gebraucht, bei den Patienten genau wie bei den Kollegen. – Ich glaube, diese Hardcore-Emanzen, die ‘ne Band als sexistisch bezeichnen, weil die ‘nen Text über ungewollte Schwangerschaft singt, diese Frauen sollten nur einmal bei uns über den Gang laufen, damit sie wissen, was Machos sind, was wirklich sexistisch ist ... Sie würden sehen, wie klasse die Jungs in »unserer« Szene sind, bei allen Fehlern – hiermal ein Lob an Euch!
ZAP: Äh, danke.